Diese Geschichte ist mir von einem längst verstorbenen Familienmitglied sehr häufig erzählt worden und war im Leben dieser Person wohl ein sehr einschneidendes Ereignis.
Diese Geschichte ist nicht lustig, sie ist traurig, aber vielleicht mag sie trotzdem jemand lesen, denn sie ist echt, es ist wirklich passiert und damit ist es auch ein Zeugnis einer anderen Zeit
Die Wochenschau
Meine Freundinnen und ich gingen früher mindestens einmal in der Woche ins Kino. Fernsehen gab es noch nicht und das Kino war ein so preiswertes Vergnügen, das ich es mir sogar als schlecht bezahltes Kindermädchen leisten konnte. Überall in der Stadt gab es Lichtspielhäuser und dort liefen wundervolle Filme mit schönen Menschen die ihre Zeit damit verbrachten, zu tanzen und zu singen und deren einzige Sorgen darin bestanden, wen sie lieben und welches aufregendes Abenteuer sie als nächstes bestehen sollten. Wir alle träumten uns in diese perfekte Welt hinein und im Kino vergaßen wir für kurze Zeit all unsere kleinen und großen Sorgen.
Vor dem eigentlichen Film gab es die Wochenschau die uns an den wichtigen Ereignissen der Welt teilhaben lies. Dort erfuhren wir, welche gekrönten Häupter gerade wo zu Besuch waren, welche Mode wir tragen sollten, welcher Filmstar in welchen Skandal verwickelt war und auch ganz alltägliche Themen wie der Ernteertrag und der Bau neuer städtischen Einrichtungen waren Thema.
Schon vor dem Krieg gab es in den Wochenschauen auch viele Beiträge die unsere Soldaten und die Marine zeigten und wir waren stolz auf unser Heer und sahen uns gern die Paraden mit den großartigen Panzern, Schiffen und derlei Kriegsgerät mehr an. Die schnittigen jungen Soldaten ließen unsere Mädchenherzen höher schlagen und wir sahen nur ihre schicken Uniformen, die markanten Gesichter und ihr charmantes Lachen.
Mit Kriegsbeginn änderte sich dann die Wochenschau, denn natürlich kamen nun zuerst die wichtigen Kriegsthemen und uns wurde dort die schöne Welt des Krieges gezeigt. Soldaten in perfekt sitzender Uniform salutierten, maschierten und zogen fröhlich lachend und winkend in die Schlacht oder kamen in genauso perfekt sitzenden Uniformen aus ihren siegreichen Schlachten zurück. Sie kämpften für unsere Heimat, damit diese erhalten bleibt und sie kämpften gegen das Böse, das uns bedrohte und die armen Völker in anderen Ländern unterdrückte und das erledigen unsere Soldaten quasi im Vorbeigehen und mit fröhlicher Miene. Gleich nach den Soldaten kamen dann die Filmstars und andere Themen und so wirkte der ganze Krieg auf uns gar nicht so abstoßend, wie man sich das heute vorstellt: es war ein heroischer Kampf gegen das Böse und wir nahmen es kaum als Kampf wahr.
Wir wollten es auch nicht als Kampf sehen, wir wollten das Böse des Krieges nicht sehen denn wir alle hatten schon Opfer für diesen Krieg bringen müssen. Jede von uns hatte Väter, Brüder, Cousins, Freunde und auch die eigenen Ehemänner in den Krieg ziehen sehen und fast jede von uns hatte auch schon einen dieser Briefe gesehen, in denen einem mitgeteilt wurde, dass der Bruder, der Freund, der Vater oder der Ehemann gefallen war. Wir versuchten dieses Grauen und die Angst vor weiteren Briefen einfach zu verdrängen und uns in die schöne Welt des Kinos zu flüchten.
Aber dann kam der Tag, der mir die grausame Wahrheit offenbarte und mich zum ersten Mal seit langem wieder klar denken lies. Wieder saßen wir in der Wochenschau und an uns zogen die Bilder der marschierenden und siegreichen Soldaten vorbei. Plötzlich gefror das Blut in den Adern und es fühlte sich alles kalt und taub an. Schlagartig wurde mir bewusst, dass alles was wir da sahen gelogen war, dass nichts daran real war, dass der Krieg nicht so schön und harmlos war. Das Bild dieses jungen, lachenden Soldaten auf dem Panzer, der gerade aus einer siegreichen Schlacht kommt werde ich bis an mein Lebensende nicht mehr los. Denn dieses Bild konnte keinen siegreichen Soldaten zeigen, der gerade die genannte Schlacht gewonnen hat, sie zeigte meinen Bruder Jork, der schon vor vielen Monaten gefallen war. Der Brief mit der Mitteilung, dass er gefallen war, hat mich damals sehr mitgenommen, aber trotzdem nahm ich den Krieg hin und versuchte ihn zu verdrängen. Erst als ich dieses Bild sah, wurde mir klar, wofür mein Bruder gestorben war, wie sinnlos sein Tod und der Tod all der andern war und wie grausam das Spiel war, das da mit uns gespielt wurde. Der letzte Gruß meines toten Bruders öffnete mir die Augen und wird mir bis an mein Lebensende eine Mahnung sein.
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