Eigentlich wollte ich in dieser Rubrik Geschichten erzählen, die mir selbst von älteren Herrschaften erzählt wurden, damit sie nicht vergessen werden. Ich wollte ein ganz kleines Stück Zeitgeschichte fest halten. Aber gerade wurde mir klar, dass ich auch ganz fürchterlich alt bin und damit ganz offensichtlich auch Zeitzeuge von Dingen, die sich alle nach 1990 geborenen wohl kaum noch vorstellen können. Wie kam ich drauf? Also der erste Gedanke daran, dass ich wohl zu den älteren Leuten gehöre, kam mir, als mein Mann erzählte, dass er kürzlich bei einer Berichterstattung über eine Anti Atom Demo folgendes hörte: „Bei der Demo sind auch einige ältere Leute anwesend, die das Chaos nach Tschernobyl noch live erlebt haben“. Ja nee ist klar, ich war damals 16 und ich habe ergo das Ganze auch recht bewusst und live mitbekommen und bin damit also schon ein älteres Leut.
Neulich waren wir im Museum und zwar im größten Computermuseum der Welt. Dieses kann ich übrigens dringend empfehlen, man muss sich allerdings sehr viel Zeit mitnehmen, an einem Tag ist es kaum zu schaffen wenn man sich wirklich auf alles einlassen will. Also gut, in diesem Museum standen ein Haufen Dinge herum, die ich doch recht gut kannte – und teilweise vermisse (ich will mein altes, graues, Wählscheibentelefon wieder haben! Mit modernen Telefonhörern (wenn man sie überhaupt so nennen kann) kann man ja niemanden mehr ermorden und zwischen Schulter und Ohr klemmen geht auch nicht). Und als wir dann vor der Telefonzentrale dort standen, wurde mir bewusst, dass ich während eines Schulpraktikums sogar noch Dinge gesehen habe, die schon zu meiner Zeit am aussterben waren und die heute keiner mehr kennt (die gabs nichtmal im Museum). Ich will euch nicht mit den üblichen Listen langweilen, die man überall im Internet findet (du weißt, du bist über 40, wenn Twix bei dir Raider heißt und du weißt, wie man sich zu viert in eine Telefonzelle quetscht und jeder dabei einen bequemen Sitz- oder Stehplatz hat um für eine Mark ewig mit dem Traumboy zu telefonieren … bla). Nein, ich will euch von meinem Praktikum bei der Post erzählen und davon, was ich da für wunderliche Dinge sah.
Das Praktikum fand so ungefähr statt, als ich 15 Jahre alt war und das war 1985. Drei Wochen dauert es und zwei Wochen davon war ich in der Auskunft der Post. Tja und wie das Damals funktionierte, das war schon abenteuerlich. Stellt euch Reihen von Eichenschreibtischen vor auf denen große monitorähnliche Dinger stehen, davor gabs eine große graue Fläche, die beweglich war. Unten war sie in Zahlen unterteilt, an der Seite mit Buchstaben (es ergab also eine Art Raster). Auf diese wurden Folien gelegt. Diese Folien waren etwa Din A 5 groß und es gab eine Menge davon. Sie enthielten alle Telefonbücher Deutschlands als Mikroform – also so ähnlich wie ihr es vielleicht mal im Fernsehen in alten Archiven mit Mikrofilmen gesehen habt (da sitzen dann die jungen Leute vor so einem Monitor und an ihnen rauschen alte Aufnahmen von Zeitungen vorbei, früher wurde sowas auch auf Mikrofilm archiviert). Nur das hier kein Film durch lief, sondern es eben einzelne Folien gab und die lagerten in einem Kasten rechts neben einem und waren durchnummeriert. Auf jeder Folie waren so etwa 100 mikrokleine Telefonbuchseiten. Auf der ersten oberen Ecke der Folie war immer eine Art Inhaltsangabe der Folie (da stand dann z.B. Osn Br - De) und darunter stand da, auf welchem Planquadrat sich die Informationen befanden (also z.B.: B 9 Bu - Ce). Diese Folien wurden also auf die Fläche gelegt und unter das Lichtlesegerät geschoben. Dieses vergrößerte dann den entsprechenden Abschnitt der Folie, über dem sich der Lesekopf befand und diese Vergrößerung wurde auf dem Monitor angezeigt. Hier findet ihr ein Foto von so einem Lesegerät:
Allerdings trägt der ausgestopfte Herr viel zu moderne Kopfhörer. Die Damen dort hatten alle richtig uralte Kopfhöhrer auf dem Kopf und diese waren mit einem schick altmodischem Kordelkabel mit einer Buchse verbunden, in dem Augenblick, wo man sich einsteckte, kamen auch schon die Anrufer.
Fotos vom Iserlohner Museum für Handwerk und Postgeschichte |
Allerdings trägt der ausgestopfte Herr viel zu moderne Kopfhörer. Die Damen dort hatten alle richtig uralte Kopfhöhrer auf dem Kopf und diese waren mit einem schick altmodischem Kordelkabel mit einer Buchse verbunden, in dem Augenblick, wo man sich einsteckte, kamen auch schon die Anrufer.
Nachdem der Anruf entgegen genommen war, ging das Suchen los und das war aufwendig:
Während ich dort mein Praktikum absolvierte, wurden nebenan die Computer installiert, die schon bald die alten Lesegeräte ersetzen sollten... ich gehörte also zu den letzten, die sowas in Bremen sehen konnten.Danach übernahmen die Computer die Ansprache des Kunden und das Suchen und die netten Damen gaben nur noch die Telefonnummer weiter - wie öde.
- Erst musste man heraus finden, welche Nummer das entsprechende Telefonbuch hat. Jedes Telefonbuch und jeder Ort hatte eine Nummer. Diese fand man heraus, in dem man auf einem oben fest eingeklebtem Mikrofilm erstmal schaute, welche Karte/Nummer denn wohl die entsprechenden Ortsanfangsbuchstaben enthielt.
- Dann nahm man aus dem ersten Kasten die Karte mit den Ortsanfangsbuchstaben, also der entsprechenden Nummer heraus, legte sie auf die Lesefläche, schob es so unter den Monitor, damit dieser die erste obere Ecke vergrößerte und fand dort heraus, in welchem Planquadrat sich die entsprechenden Anfangsbuchstaben befanden, suchten wir also Osnabrück, suchten wir dort nach Osn.
- Dann rutschte man mit der Folie auf das entsprechende Quadrat und fand mit Glück die Stadt und die Nummer der Stadt und konnte die Folie zurück legen.
- Dann nahm man die erste Folie mit der Stadtnummer und legte sie auf die Lesefläche, ging auf das erste Quadrat um heraus zu finden, wo sich der Anfangsbuchstabe des gesuchten Namens befand. Bei kleinen Städten war das entsprechende Quadrat mit auf der Folie.
- Danach suchte man das Planquadrat Alphabetisch durch bis zum Namen und konnte dann endlich dem Anrufer die gewünschte Auskunft erteilen.
- Bei größeren Städten dauerte das Suchen mitunter auch länger und man musste sich mehrere Folien schnappen.
Während ich dort mein Praktikum absolvierte, wurden nebenan die Computer installiert, die schon bald die alten Lesegeräte ersetzen sollten... ich gehörte also zu den letzten, die sowas in Bremen sehen konnten.Danach übernahmen die Computer die Ansprache des Kunden und das Suchen und die netten Damen gaben nur noch die Telefonnummer weiter - wie öde.
Es riefen bei der Auskunft nämlich nicht nur Leute an, die Telefonnummern haben wollten. Irgendwie schienen auch viele Leute zu meinen, die Auskunft gibt über alles Auskunft. Was aber natürlich nicht der Fall war. Wenn wir Zeit hatten (das erkannten wir an einer Lampe, war sie aus, waren keine Kunden in der Warteschleife) versuchten wir sogar da zu helfen. Ich konnte einem Anrufer damals nicht sagen, was es mit der Frau auf dem 50 Pf. Stück auf sich hat (jetzt weiß ich es, grob gesprochen: Hommage an die Trümmerfrauen), dem Kind mit den Mathehausaufgaben konnte ich helfen, dem Mann, der sich so gern mit mir treffen wollte allerdings nicht ;)
Für Leute, die keinen AB haben (hatte damals kaum jemand) gab es eine Stelle, wo ich auch einen Tag arbeiten durfte – den Auftragsdienst. Wenn jemand über einen längeren Zeitraum nicht zu erreichen war und er wollte, dass Anrufer davon informiert wurden oder sogar Nachrichten hinterlassen konnten, dann wurde dieser Dienst beauftragt. Die entsprechenden Telefonnummern wurden zum Auftragsdienst umgeleitet und wir meldeten uns dann mit: „Guten Tag, Sie sprechen mit dem Auftragsdienst der Post, welche Rufnummer haben Sie gewählt?“. Das führte in vielen Fällen schon dazu, dass aufgelegt wurde oder es wurde rumgestammelt, dass man sich wohl verwählt hatte. Konnte man aber den Anrufer überzeugen, dass er richtig war, dann gab er uns die Telefonnummer. Der Auftragsdienst war nur für den Ort zuständig, ergo ohne Vorwahlen. Wir hatten dann vor uns eine Wand mit lauter kleinen Metallschubkästchen mit Nummern vorne dran. Dort suchten wir die passende Nummer (natürlich hatte nicht jede Telefonnummer ein eigenes Kästchen, die waren dann durchnummeriert mit 480 – 500 oder so). Wir zogen das entsprechende Kästchen heraus und schauten nach, ob es eine Karte (ja, eine Vorgedruckte kleine Karte die handschriftlich ausgefüllt war) mit der Nummer gab. Gab es diese, lasen wir dem Anrufer die Nachricht des Auftraggebers vor (insofern wir diese lesen konnten, was mir mitunter schwer fiel - die Postler schrieben so deutlich wie mein Arzt). Bei manchen gab es ein Kreuz, welches anzeigte, dass wir auch Nachrichten entgegen nahmen. Dann notierten wir ggf. die Nachricht und der Auftraggeber konnte diese dann mit einem Anruf und einer Passwortnummer abfragen. Besser als jeder AB (vor allem, wenn man sein Geschmiere nicht mehr lesen konnte, aber das musste vermutlich eh erst die Folgeschicht ;)
Ich war auch einen Tag in der Telegrammannahme. Es gab nämlich keine Mails für Jedermann (hatte ja kaum jemand überhaupt einen Computer, geschweigedenn sowas wie Internet) und Telefonieren in andere Ortschaften oder gar andere Länder war sauteuer. Wenn man also jemandem weit weg etwas Dringendes schnell mitteilen wollte, schickte man ein Telegramm. Natürlich schickte man auch der Tante eins zum Geburtstag, wenn man total angeben wollte, denn Telegramme waren teuer und sie waren auch was Besonderes. Es gab dafür extra schicke Schmucktelegrammkarten, deren Motive man sich vorne in seinem Telefonbuch auswählen konnte und die kosteten alleine schon 5 Mark.
Wie funktionierte die Sache? Entweder, man schrieb den Telegrammtext auf einen Vordruck und gab den bei der Post ab und bezahlte dann sofort, oder man gab das Telefonisch durch, ich glaub, das ging dann auf die Rechnung der Festnetznummer von der aus man angerufen hatte (also konnte man das nicht von der Telefonzelle aus und Handys gabs noch nicht). Wir nahmen das dann entgegen, zählten die Worte (wenn diese über 10 Zeichen lang waren, kostete es doppelt) und tippten das Ganze dann in einen Computer und schickten es weiter - total modern. Es gab aber in dem Raum auch richtige, alte Telegrammapparate, die Telegramme aus dem Ostblock lieferten, da kamen richtige Streifen raus, die dann auseinander geschnitten und auf einen Vordruck geklebt werden mussten. Die meisten ankommenden Telegramme wurden bei uns von einem Nadeldrucker ausgedruckt. Wir haben sie dann gefaltet und in einen Briefumschlag oder die entsprechende Schmuckkarte gesteckt, den Briefumschlag beschriftet (auch mit der Schreibmaschine - einfach Briefumschlag einspannen und drauf los tippen) und der Postbote stellte diese im Eilverfahren zu. Das dauerte meist höchstens einen Tag ;)
Wie funktionierte die Sache? Entweder, man schrieb den Telegrammtext auf einen Vordruck und gab den bei der Post ab und bezahlte dann sofort, oder man gab das Telefonisch durch, ich glaub, das ging dann auf die Rechnung der Festnetznummer von der aus man angerufen hatte (also konnte man das nicht von der Telefonzelle aus und Handys gabs noch nicht). Wir nahmen das dann entgegen, zählten die Worte (wenn diese über 10 Zeichen lang waren, kostete es doppelt) und tippten das Ganze dann in einen Computer und schickten es weiter - total modern. Es gab aber in dem Raum auch richtige, alte Telegrammapparate, die Telegramme aus dem Ostblock lieferten, da kamen richtige Streifen raus, die dann auseinander geschnitten und auf einen Vordruck geklebt werden mussten. Die meisten ankommenden Telegramme wurden bei uns von einem Nadeldrucker ausgedruckt. Wir haben sie dann gefaltet und in einen Briefumschlag oder die entsprechende Schmuckkarte gesteckt, den Briefumschlag beschriftet (auch mit der Schreibmaschine - einfach Briefumschlag einspannen und drauf los tippen) und der Postbote stellte diese im Eilverfahren zu. Das dauerte meist höchstens einen Tag ;)
So, jetzt habe ich euch genug gelangweilt mit den Geschichten von Früher – übrigens: wir hatten Zuhause kein Telefon bis ich 8 war und nein, ich wohnte nicht im Osten, das war relativ normal ;)
mehr mehr mehr ;-)
AntwortenLöschenLach - na mal sehen. Jetzt muss die alte Tante aber erstmal zurück in den Schaukelstuhl, ihre karierte Wolldecke über die kalten Beine legen und ein wenig vor und zurückwippen, was schon anstrengend genug sein dürfte. Außerdem fällt es mir schon schwer, diese alten Geschichten wieder zu erinnern...*prust*
AntwortenLöschenEs ist mir gelungen ein Foto zu finden, dass ziemlich genau das zeigt, was ich da von der Auskunft beschrieben habe:
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